Heute habe ich die Ehre, mich mit dem Münchner Burnout-Experten Christian Zakrzowsky-Niederreiter über die Ursachen des Burnouts und die Möglichkeiten der Prävention im Berufsalltag zu unterhalten.
Zur Person:
Der gebürtige Salzburger Christian Zakrzowsky-Niederreiter arbeitet seit 10 Jahren selbstständig als Therapeut in München. Sein Werdegang beinhaltet eine fundierte technische Ausbildung, die viel analytisches Denken fordert, genauso wie Koordination eines Verkaufsteams. Nach vielen Jahren Ausbildung im Bereich Psychologie folgte 2005 – nach erfolgreichem Abschluss zum Heilpraktiker für Psychotherapie – die erste Praxis. In den darauf folgenden Jahren entstand daraus eine einzigartige Kombination.
Viele seiner Kunden mögen seine analytische Dynamik ohne das Wesentliche aus dem Auge zu verlieren. Mit viel Verständnis und Einfühlungsvermögen lassen sich auch komplexe Themen bearbeiten. Die geradlinige Art von Christian Zakrzowsky-Niederreiter wissen viele zu schätzen. So auch VonVorteil.
VV: Herr Zakrzowsky-Niederreiter, was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff Burnout?
Burnout ist der modernere Begriff der Erschöpfungsdepression. Manche sagen auch Burnout sei die Depression der Reichen und Erfolgreichen.
VV: Wie darf man das verstehen?
Naja, an dem Krankheitsbild als solches hat sich nicht viel verändert, allerdings klingt es schicker an einem Burnout als an einer Depression erkrankt zu sein. Burnout klingt nach Überarbeitung, Depression schon eher nach einer ernsthaften Krankheit.
VV: Wie macht sich denn ein Burnout bemerkbar?
Ein permanentes Gefühl von Überlastung, wenn man sich immer mehr beginnt zurückzuziehen, soziale Kontakte abzubauen und sich ausgebrannt, erschöpft, und leer zu fühlen. Bis hin zur körperliche Symptomatik wie z. B. Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder Schwindel.
VV: Der Burnout ist in aller Munde, ich habe das Gefühl, dass es mittlerweile schon zu einer Volkskrankheit geworden ist. Wie sehen Sie das?
Erschöpfungsdepressionen hat es schon immer gegeben. Allerdings steigt durch die permanente Erreichbarkeit und das arbeiten rund um die Uhr der Druck unentwegt. Somit ist die Wahrscheinlichkeit eines Überlastungssyndroms größer als sie es in der Vergangenheit war. Früher sind wir geregelt den Dingen nachgegangen, man hatte einen Arbeitsplatz meist über 20 bis 30 Jahre oder länger und damit auch eine gewisse Sicherheit. Wenn man gearbeitet hat, hat man gearbeitet, und wenn man frei hatte, hatte man frei. Da gab es eine klarere Trennung zwischen Beruf und Privatleben, dadurch wurden auch die Erholzeiten besser eingehalten.
VV: Gibt es Berufsgruppen, die besonders betroffen sind?
Menschen, die permanent arbeiten, wie z. B. Ärzte, Selbstständige oder Unternehmensberater, und dadurch permanent das Gefühl haben, sie müssten noch etwas erledigen. Im Grunde genommen geht es aber mehr um die Persönlichkeit als um den Beruf. Besonders strukturierte und geradlinige Menschen, die alles sehr genau und sich zu Herzen nehmen, Menschen, die sich nur schlecht abgrenzen können und noch dazu hohes soziales Engagement zeigen.
VV: Für mich klingt das erst einmal wie ein Widerspruch, da ich davon ausgehe, dass ein strukturierter Mensch auch besser Arbeit und Privates trennen kann…
… Naja, ein strukturierter Mensch nimmt aber auch alles genauer, er liest die E-Mail dreimal, bevor er sie rausschickt, er bereitet sich gewissenhafter auf Termine vor und hat auch gerne und für alles und jeden ein offenes Ohr. Besonders betroffen sind vor allem Personen, auf die viel Druck ausgeübt und von denen viel gefordert wird. Es gibt Leute, die arbeiten 50 bis 60 Stunden die Woche und dann bekommen sie immer noch vom Chef zu hören, dass das Ergebnis in der Abteilung nicht stimmt. Man muss bedenken, es gibt immer Menschen, die erzeugen schlechtes Gewissen, und Menschen, die empfangen schlechtes Gewissen. Wenn ausgelöst wird, dass diese Person ein schlechtes Gewissen empfindet und sich verantwortlich dafür fühlt, dann arbeitet sie natürlich umso mehr.
VV: Grundsätzlich doch schön wenn ein Mitarbeiter Verantwortung übernimmt?
Natürlich, allerdings, wenn man mit einem Vorgesetzten konfrontiert ist, der immer mehr fordert, und Sie vielleicht auch noch der einzige sind, der das kann, dann erzeugt das ein Gefühl der Abhängigkeit. Dadurch haben sie das Gefühl, sie müssten das erledigen und sitzen ewig in der Arbeit und die Zeit zum Regenerieren kommt zu kurz.
VV: Scheinbar hat der Beruf eine große Bedeutung bei einem Burnout?
Ja, definitiv… Vor allem aber spielt wie gesagt die Persönlichkeitsstruktur eine große Rolle. Auch wenn ich mich privat, z. B. in einem Verein viel engagiere, dann habe ich die gleiche Problematik. Immer wenn ich mich um andere Menschen oder Angelegenheiten kümmere, kann es zu einer psychischen Überlastung führen. Je mehr Verantwortung ich habe, desto höher ist die Gefahr. Vor allem in sogenannten Sandwichpositionen, in denen man von oben Druck bekommt und den man nach unten weitergeben soll. Es geht tatsächlich darum, zu lernen, sich persönlich abzugrenzen und nicht jedes Problem zu seinem eigenen zu machen und auch einfach NEIN sagen zu können. Auch wichtig ist, den Dingen einen Zeitstempel zu verleihen.
VV: Was bedeutete es Dingen einen Zeitstempel zu verleihen?
Zu priorisieren, welche drei Dinge wichtig sind. Was muss wirklich heute und was kann ich morgen erledigen, so dass ich auch nicht permanent daran denken muss.
VV: Ein Abgrenzungsproblem?
Richtig. Dass man sich nicht für alles Verantwortlich fühlt. Man muss einfach mehr auf sich achten und dafür Mechanismen entwickeln. Ich sage immer: Mitgefühl ja, Mitleid nein. Das heißt, wenn ich mitleide, mache ich das andere Problem zu meinem eigenen. Im ersten Moment gibt es einem ein gutes Gefühl, nämlich das Gefühl der Anerkennung. Aber natürlich besteht somit die Gefahr, dass solche Aufgaben vermehrt auf mich zukommen.
VV: Da höre ich doch dann ganz stark ein Führungsproblem heraus, oder?
Generell muss man natürlich sagen, ist jeder Mensch für sein eigenes Leben verantwortlich. Umgekehrt ist natürlich das Unternehmen für seine Mitarbeiter verantwortlich und profitiert auch von ausgeglichenne Mitarbeitern, einer höheren Motivation und dadurch auch einer höheren Produktivität. Andererseits, im Falle des Burnout-Verdachts, kann der Mitarbeiter schon mal direkt vier Wochen von einem Arzt krankgeschrieben werden, der Psychotherapeut schreibt dann auch nochmal drei Monate dazu und dann hat das Unternehmen tatsächlich ein ernsthaftes Problem.
VV: Was kann man als Führungskraft tun, damit dies nicht passiert?
Indem ich mit den Mitarbeitern ständig im Dialog bin und nicht diesen Druck ausübe. Ich muss darauf achten, dass die Mitarbeiter nicht rund um die Uhr arbeiten. In dem Wort Führungskraft steckt ja schon alles drin. Das heißt: Ich habe Mitarbeiter zu führen und nicht eigene Projekte abzuwickeln. Wenn das vermischt wird, dann ist die Führungskraft nur noch ein Arbeitsverteiler. Meistens kennen die Führungskräfte schon selber die Problematik sich nicht abgrenzen zu können. Deswegen meine Empfehlung, wenn es nicht mehr geht, dann gilt es, es nach oben eskalieren zu lassen. Deswegen muss die Verlagerung der Probleme von unten nach oben passieren und nicht umgekehrt. Früh genug erkennen, dass es nicht machbar ist, und dann rechtzeitig die Probleme an den nächsten Vorgesetzen weitergeben.
Natürlich wäre es viel schlauer, wenn die Unternehmen die Verantwortung der Mitarbeiter übernehmen und darauf achten, dass sie ausgeglichen sind. Wie z. B. den E-Mail-Server übers Wochenende abschalten, da auch hier schnell das Gefühl entsteht, direkt antworten zu müssen. Heutzutage kann man auch nicht mehr eine E-Mail oder so ein paar Tage liegen lassen, die Leute haben dann schnell den Eindruck, man wäre verunglückt oder habe kein Interesse. Ein Münchner Unternehmen fängt bereits damit an, am Abend das Licht langsam zu dimmen, bis zu einem Zeitpunkt, an dem das Licht ganz ausgeschalten wird. Es gibt also immer mehr Überlegungen in diese Richtung, da man sich bewusst ist, was der Ausfall von guten Mitarbeitern für Schaden anrichten kann.
VV: eMail, Skype, Chat, Telefon… inwieweit spielt die Vielzahl der Kommunikationsmittel eine Rolle?
Vor allem werden durch die neuen Kommunikationsmittel Hierarchien nicht mehr eingehalten. Früher hat man einen Brief erhalten, der durchlief einen gewissen Ablauf, das konnte man wesentlich besser organisieren. Heutzutage kann jeder mit jedem kommunizieren und es wird erwartet, dass ich direkt antworte, intern wie extern. Häufig kann der Sender auch schon erkennen ob der Empfänger die Mail schon gelesen hat, auch das erzeugt Druck. Von jedem einzelnen wird mehr verlangt. In der Zeit, in der man mal eine E-Mail beantwortet kommen meistens zur selben Zeit weitere Anfragen hinzu. Der Berg, den man erledigen muss wird immer größer. Vor allem die emotionale Belastung, das Gefühl zu haben, das alles direkt erledigen zu müssen, spielt eine große Rolle. Es geht auch hier wieder um die Abgrenzung, ums NEIN-Sagen.
VV: Facebook während der Arbeitszeit, Ja oder Nein?
Es ist natürlich noch eine weitere Belastung, permanent mit seinem Umfeld in Austausch zu stehen, denn auch mein Freunde erwarten, dass ich direkt antworte. Ständig das Gefühl der Erreichbarkeit zu haben, erzeugt ein unheimliches Stresspotential. Ich beobachte solche Vorgänge, z. B. im Fitnessstudio, selbst dort wird permanent telefoniert oder zwischen den Übungen aufs Handy geguckt. Das hat nichts mehr mit Entspannung zu tun, dem eigentlichen Ziel meines Besuchs im Fitnessstudio.
VV: Glauben Sie, dass es ein Problem der „Traditionals“ ist und die nächste Generation wesentlich besser damit umgehen kann?
Momentan etablieren sich immer mehr Digitaltherapeuten, die sich konkret mit diesem Suchtverhalten Smartphone, Facebook und Co. auseinandersetzen. Das spricht dafür, dass es mehr Probleme in diese Richtung gibt.
VV: Wie kann man einer Führungskraft helfen mit dieser Vielzahl neuer Probleme?
Ganz wesentlich ist, dass Führungskräfte geschult werden, um frühzeitig Probleme wie z. B. den Burnout zu erkennen. Ebenso wäre es ratsam, wenn sie die Möglichkeit hätten, sich regelmäßig mit einem unabhängigen Coach über die an sie herangetragenen Schwierigkeiten auszutauschen.
VV: Was kann ich konkret als Unternehmer tun, um bei meinen Mitarbeitern Burnout zu vermeiden?
Als Unternehmen muss ich auch individuell auf meine Mitarbeiter eingehen. Der eine ist mehr, der anderen weniger belastbar. Der eine ist schneller, der anderen langsamer, aber dafür akkurater. Dabei geht es ganz klar um die Führungsqualitäten der Vorgesetzten. Sie bestimmen, ob die Mitarbeiter sich wohl fühlen oder nicht. Ob das Team zusammenwachsen kann oder nicht. Prinzipiell sind auch alle Aktionen gut, die den Mitarbeiter und aber auch die Teambildung fördern, wie z. B. Mitarbeiterevents. Aber nicht mit dem Hintergedanken danach wieder mehr von dem Mitarbeiter herausholen zu können. Dadurch erreicht man dann gerne das Gegenteil, nämlich die Gefahr, dass der Mitarbeiter sich in der Verantwortung sieht, jetzt noch mehr leisten zu müssen. Die Führungskräfte haben natürlich die Aufgabe, permanent in Kontakt mit seinen Mitarbeitern zu stehen. Sie brauchen ein Gespür dafür, wie der Mitarbeiter drauf ist, arbeitet er zu viel, hat er sich verändert, wird er zynisch, zieht er sich zurück, nimmt er seine Pausen nicht mehr wahr, stapelt sich die Arbeit auf seinem Schreibtisch. Solche Zeichen muss die Führungskraft erkennen um rechtzeitig reagieren zu können.
VV: Wie erkenne ich, wann Stress aufhört und der Burnout anfängt?
Der positive Stress ist ja auch in Ordnung. Auch eine Aufregung z .B. vor einer Präsentation kann ein gutes Gefühl erzeugen, trotz Stress. Es geht mehr darum, den permanenten Stress zu vermeiden. Ein einfaches Beispiel: Wenn ich Sport betreibe, kann ich schon mal sprinten, aber danach muss der Körper wieder Zeit zur Regeneration bekommen. Wenn man fit ist, kann man dazwischen auch mal extrem sprinten, aber natürlich auch nicht dauerhaft. Der Marathonläufer z. B. kann längere Zeit seine Hochleistung abrufen, benötigt aber auch eine wesentlich längere Regenerationszeit.
VV: Ihre Empfehlung: feste, flexible oder Vertrauensarbeitsplatz?
Eine tatsächlich sehr allgemeine Frage. Meine Empfehlung wäre eher ein Gleitzeitmodell, sodass der Mitarbeiter immer noch das Gefühl hat, flexibel zu sein und mitbestimmen zu können, wann er mit der Arbeit beginnt. Das ist aber sehr individuell, bei manchen Berufen ist es auch gut, dass man die Arbeit flexibler gestalten kann, z. B. bei Entwicklern ist es manchmal notwendig, dass die einen Prozess im Unternehmen starten und dann später zu Hause fortsetzen können.
VV: Ein Ziel des Employer Brandings ist ja auch ein größere Identifikation der Mitarbeiter zum Unternehmen zu erzeugen, wie sehen sie das im Bezug zum Burnout?
Die Identifikation mit einem Unternehmen ist sehr gut und sehr wichtig, da man somit auch motivierter ist und gemeinsam an den Zielen des Unternehmens arbeiten kann. Allerdings ist es auch hier wichtig, Arbeit Arbeit sein zu lassen und die Freizeit bewusst wahrnehmen zu können ohne an die Arbeit zu denken. Das wird gerne vermischt, auch dass man mit den Kollegen und Mitarbeitern gerne mal außerhalb der Arbeit essen oder trinken geht. Je mehr man mit dem Unternehmen in Form von Kollegen oder Vorgesetzen privat verknüpft ist, desto schwieriger ist es, sich davon zu lösen, da man letztendlich auch in seiner Freizeit firmeninterne Dinge bespricht. Das soll jetzt aber nicht bedeuten, dass man nicht mal mit seinen Kollegen ein Bier trinken gehen kann. Aber auch da muss es eine Grenze geben. Auch ist es ein großer Unterschied, ob ich mit gleichrangigen Kollegen oder mit Führungskräften privat was unternehme und dadurch das Gefühl habe, ich stehe in deren Schuld.
Der durchaus positive Effekt der Identifikation mit der Arbeitgebermarke ist, dass die Mitarbeiter lieber in die Arbeit gehen, sich im Umfeld wohler fühlen und sich dadurch auch weniger krankmelden und auch krank sind. Der Mitarbeiter erkennt dadurch auch den Sinn hinter seiner Beschäftigung und hat dadurch weniger das Gefühl eine Marionette zu sein.
VV: Herr Zakrzowsky-Niederreiter, ich bedanke mich sehr für das Gespräch und die interessanten Einblicke.
Employer Branding als Burnout Prävention?
vom 05.10.2016 / © VonVorteil