Aufgeschoben: Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Mann hält Baby in die Luft

Ein Dax-Konzern wagt einen noblen Vorstoß. Und knickt ein. Ein Kommentar

 

„Vorreiter“. „Pionier“. „Modellprojekt“. So berichteten die Medien im September vergangenen Jahres über SAP. 

Der Konzern hatte versprochen, Väter und Partnerinnen sechs Wochen nach Geburt des Kindes bezahlt freizustellen. Ein Vorhaben, das so ähnlich auch von der Politik avisiert wird. „Familienstartzeit“ heißt es da, soll zwei Wochen lang dauern und ist noch in der Mache.  

Über den Vorstoß von SAP haben u.a. die FAZ, der SPIEGEL, die WiWo berichtet, auf dpa lief die Nachricht. Sie alle waren voll des Lobes.  

„Wir wollen damit zeigen, dass Familienvereinbarkeit und Karrieremachen keine Widersprüche sind“, wurde der Personalchef von SAP in Deutschland zitiert. 

Und nun, vier Monate später? Kommando zurück. 

SAP begründet sein Zurückrudern damit, dass die Politik das Projekt auf der Agenda habe.  

Wie schade.  

SAP hätte einen großen Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf leisten können. Hätte der Politik zuvorkommen und ihr damit positiven Druck machen können. Hätte Vorbild für andere Unternehmen sein können. Hätte ein Signal senden können, das bei Talenten Gehör findet, und sie möglicherweise dazu bewegt, sich bei SAP zu bewerben.  

Kurioserweise wird der Fachkräftemangel (neben dem finanziellen Aufwand) herangezogen, um eine sechswöchige Auszeit der Eltern abzuschmettern – wir brauchen die Leute! Kurzfristig mag das stimmen; langfristig bestimmt nicht. Ein Arbeitgeber, der sich so für Familien einsetzt, der wird künftig eher mehr statt weniger Arbeitskraft zur Verfügung haben.  

Siemens, Continental, DHL, Beiersdorf, die Telekom, sie alle unterstützen auf unterschiedliche Weise arbeitende Eltern – z. B. mit Sonderurlaubstagen, in der Regel maximal zwei Tage; 44 Prozent der Unternehmen bieten laut Allensbach Umfrage keinen Sonderurlaub –, doch niemand wollte so weit gehen wie SAP. 

Lediglich bei Cisco bekommen Mütter 13 Wochen lang das normale Entgelt, die unterstützende Person vier Wochen. 

Einige meinten, nicht der Arbeitgeber, sondern der Staat müsste das finanziell stemmen. 

Initiativen der Privatwirtschaft entlasten die Politik nicht – die steht in der Pflicht, zeitgemäße Rahmenbedingungen zu schaffen. Spanien könnte hier ein Beispiel sein: Dort gibt es vom Staat 16 Wochen voll bezahlte Elternzeit für Mutter und Vater. Das Instrument scheint zu wirken; so nahmen 2022 Väter fast genauso viel Elternzeit wie Mütter (104 bzw. 111 Tage). 

Was die Kehrtwende von SAP auch zeigt: Wer sich positioniert, kann schnell Anerkennung ernten. Kann aber auch schnell in die öffentliche Kritik geraten. 

SAP ist mutlos und geizig“ titelte die Süddeutsche Zeitung gestern und zeigte sich, wie auch andere Medien, enttäuscht von dem Zickzack-Kurs von SAP.  

Unternehmen, vor allem die großen, stehen mit fast allem, was sie tun, unter Beobachtung der Öffentlichkeit. Wenn es dann auch noch um arbeitsmarktpolitische Themen geht, die nun mal einen großen Teil der Bevölkerung beschäftigen, erst recht. Umso wichtiger, dass Arbeitgeber nur dann öffentlich Haltung zeigen, wenn diese ernst gemeint, belastbar und strategisch verankert ist. Alles andere wirkt opportunistisch und untergräbt das, was Arbeitgeber so dringend brauchen in Zeiten des Fachkräftemangels: Glaubwürdigkeit.  

Tags: Arbeitgeberattraktivität, Haltung
vom 11.01.2024 / © VonVorteil